„Mit guten Mächten“ in ein neues Jahr
Erinnerungen an ein bekanntes Lied zum Jahresanfang von Jan von Lingen
Was ist das beliebteste Kirchenlied? Das hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vor drei Jahren gefragt - und bekam darauf eine überraschende Antwort. Rund 10.000 Menschen haben bei der Aktion „Schick uns dein Lied“ mitgemacht. Sie stimmten allerdings nicht für die „Klassiker“ aus dem Evangelischen Gesangbuch wie „Lobe den Herrn“ oder „Geh aus mein Herz“, sondern für das Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ mit einer Vertonung des Liedermachers Siegfried Fietz.
Das Überraschende: Sein Lied steht gar nicht im Evangelischen Gesangbuch. Dafür zeigen rund 11 Millionen Aufrufe bei Youtube sowie Veröffentlichungen in Liederbüchern, wie populär es ist. Der Liedtext ist ein Gedicht von Dietrich Bonhoeffer. Die erste Strophe führt in das neue Jahr ein, darum wird es oft zum Jahresbeginn gesungen:
Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Wie sind diese Zeilen entstanden? Was ist ihre Geschichte? Am 19. Dezember 1944 – in der Vorweihnachtszeit vor 80 Jahren – schreibt Dietrich Bonhoeffer aus dem Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamts in Berlin einen Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer. Darin liegt er dieses Gedicht mit Zeilen, die sein Leid widerspiegeln und viele Menschen seit Jahrzehnten berühren. So schreibt Bonhoeffer für seine Verlobte:
Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.
Erstmals veröffentlicht wurde das Gedicht 1951 in dem Buch „Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft.“ Sein Gedicht „Von guten Mächten“ ist das letzte
Dokument, das seinem tiefen Glauben Ausdruck verleiht. Über die Jahrzehnte ist es immer bekannter geworden und hilft vielen Menschen, auch eigenes Leid zu ertragen:
Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
Leid - dankbar ohne Zittern aus Gottes Hand annehmen? Eine schwere Prüfung. Dietrich Bonhoeffer hat das getan. Er hätte im Ausland bleiben können, zum Beispiel in New York, dort hatte er eine Zeit lang gelebt. Doch er kehrt zurück, ausgerechnet im Jahr 1933. Schon zwei Tage nach der Machtergreifung Adolf Hitlers warnt Bonhoeffer in einer Rundfunkan-sprache, der Führer könne schnell „zum Verführer“ werden. Er leitet dann eine kirchliche Ausbildungsstätte für junge Theologen in Greifswald in Pommern und bereitet sie auf ihren Beruf vor – bekannt aus der Zeit ist ein Foto von ihm unter den Vikarinnen und Vikaren. Sein Thema: Gemeinsames geistliches Leben stärkt in schweren Zeiten. Es bleibt eine der schönen Erinnerungen in seinem Leben:
Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.
Ein Jahr nach der Machtergreifung fordert er die Christen in Deutschland zur Entscheidung auf: Entweder "Christ oder Nationalist". Außerdem schließt er sich der Widerstandsgruppe des 20. Juli im deutschen militärischen Geheimdienst an. 1940 erhält er Redeverbot und 1941 Schreibverbot. Am 5. April 1943 wird er verhaftet. Tagebücher und Briefe an seine Eltern und seine Braut erzählen von den zwei Jahren in Haft. Darunter dies gerade adventlichen und weihnachtlichen Zeilen aus seinem Brief aus der Vorweihnachtszeit:
Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Wenige Monate später - am 9. April 1945 - wird der Theologe und Widerstandskämpfer im KZ Flossenbürg hingerichtet. Er ist 39 Jahre alt.
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.
Bonhoeffer ist bis heute für viele Christen ein Vorbild. Kaum ein anderer evangelischer Theo-loge des 20. Jahrhunderts hat so tief in Kirche und Gesellschaft hineingewirkt wie er. Darum sind Kirchen und Schulen, Krankenhäuser und Straßen nach ihm benannt. Und er schenkt noch heute Trost in den sieben Strophen des Gedichtes, das mit diesen Worten schließt:
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
* * *